Kommune 2/2011
Forum für Politik, Ökonomie und Kultur
Wolfgang Templin
Östliche Partnerschaft – Südliche Partnerschaft
Neue Herausforderungen für die Europäische Gemeinschaft
Nach dem 19. Dezember 2010 und bis in die Januarwochen hinein, beherrschten die Ereignisse in Belarus die internationalen Medien. Zeigten die dortige Verhaftungs- und Repressionswelle, die erneut ans Tageslicht getretene Achse Moskau –Minsk, dass alle Hoffnungen auf demokratische Entwicklungen im östlichen Teil Europas sich als Illusionen erwiesen und Russland dort weiterhin uneingeschränkt den Ton angab? Bereits die Entwicklung in der Ukraine wies in diese Richtung und gab allen Zweiflern und Skeptikern Nahrung. War damit auch das ehrgeizige Projekt der Östlichen Partnerschaft, einer Annäherung ausgesprochen heterogener, nicht unbedingt demokratiegefestigter Staaten auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion, an die Wertegemeinschaft und Prinzipien der Europäischen Union, zum Scheitern verurteilt?
Noch bevor sich auf diese Fragen eine Antwort finden ließ, beherrschte die Kette der südlichen Befreiungsrevolutionen das Geschehen und ließ eine förmliche Umkehr der bisherigen Wahrnehmung eintreten. Tunesien, Ägypten, Libyen, die Demonstrationen und Aufstände in anderen Ländern des arabischen Raumes ließen die alten Dogmen von der Zwangsalternative zwischen diktatorischen Regimes oder islamischen Fundamentalisten brüchig werden, zeigten eine auf der Tagesordnung stehende demokratische Agenda für zahlreiche dieser Staaten. War also die dominierende Option der EU, im Osten Europas auf Demokratisierung zu setzen und an der südlichen Peripherie nach Stabilität zu suchen nicht förmlich umzukehren, zugunsten einer Priorität für den Süden?
Eine neue einseitige Priorität eine bloße Verlagerung der Kräfte und Mittel Europas wäre grundfalsch in der neuen Situation. Für den Süden und den Osten steht und bleibt die demokratische Agenda auf der Tagesordnung und erfordert alle Kräfte der Europäischen Union, die sich nicht auf ihre inneren Konflikte und die sogenannte „Erweiterungsmüdigkeit“ zurückziehen sollte. Sie sollte darüber hinaus einen realistischen Blick auf einen weiteren europäischen Beteiligten bekommen der im Osten eine zentrale Rolle spielt und im Süden großen Einfluss besitzt.
Russland, die unbekannte Größe
Die Fragen zur inneren Verfasstheit Russlands, seiner Rolle im Osten aber auch im Süden Europas, seiner Stellung zu EU-Europa stellen sich durch die letzten Entwicklungen mit neuer Schärfe.
Ist das Duo Putin-Medwedjew nur ein Spiel mit verteilten Karten oder stehen sich in Moskau die Kräfte der Restauration und der Liberalisierung in beiden Personen verkörpert, immer deutlicher
gegenüber? Wie sind die Signale aus den Berater- und Expertenkreisen um Medwedjew zu bewerten, die weitgehende gesellschaftliche und politische Veränderungen einfordern?
Ist Russland bereit, perspektivisch unmittelbare Nachbarn zu akzeptieren, die sich von ihrer sowjetischen und postsowjetischen Erbschaft lösen, ihren eigenen europäischen Weg suchen, der über konsequente Reformen führt? Oder nutzt es jede Gelegenheit, die Schwäche und Inkonsequenz der dortigen Eliten, um wie in Georgien und der Ukraine demonstriert, die Nachbarn erneut zu demütigen und an die Leine zu legen?
Ist schließlich das drängende russische Angebot einer umfassenden Modernisierungspartnerschaft, mehr als der Versuch die wirtschaftliche Grundlage eines autokratischen Systems zu sanieren, dass in seinen Grundzügen erhalten werden soll? Kann die Modernisierungspartnerschaft eine Dynamik entfalten, die über den wirtschaftlichen Sektor hinausgeht und die russische Gesellschaft erfasst?
Die tiefen Widersprüche in der gesamten russischen Politik machen es nicht leicht, hier zu Antworten zu kommen, welche einer verantwortlichen Politik zugrunde liegen müssten. Russland fordert seinen Platz als anerkannter Akteur in der internationalen Politik ein und bricht die Normen internationalen Umgangs, wann immer es ihm beliebt. Russland geht mit einer Charmeoffensive und einer offensiven Werbung um Partnerschaft auf die Europäische Union zu und nutzt zugleich jede Gelegenheit, um die einzelnen Staaten der europäischen Union gegeneinander auszuspielen. Russland beschwört europäische Werte und zeigt sich unfähig, grundlegende Menschenrechte und Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit im eigenen Land zu akzeptieren.
Auf der Suche nach einer Strategie
Als die Euphorie über den möglichen schnellen Erfolg der „Farbenrevolutionen“ in der Ukraine und in Georgien verflogen war, als sich die Frage nach der künftigen Ausgestaltung des EU-Russland Verhältnisses erneut stellte, trat 2008 die Initiative der „Östlichen Partnerschaft“ (ENP) ins Leben. Sechs mehr als heterogene Länder des ehemaligen sowjetischen Raumes sollten in ihr die Chance einer konditionierten Annäherung an die EU erhalten, einer Annäherung, die bei Erfolg mit einer klaren Beitrittsperspektive verbunden sein konnte. Von vielen Beobachtern und Kommentatoren als Duplizierung bisheriger unzureichender europäischer Nachbarschaftspolitik gesehen und als eher symbolisches unzureichendes Instrument betrachtet, entfaltete die ENP in der Zeit ihrer Existenz eine erstaunliche Dynamik und wurde zum Experimentierfeld und Prüfstand einer künftigen Politik der EU gegenüber dem östlichen Europa, die auch Russland einschließen würde.
Zum erfolgreichsten Teil der ENP avancierte eine neue Dimension der politischen Partnerschaft, die von den klassischen Akteuren solcher Beziehungen zunächst sehr kritisch gesehen wurde. Die staatlich-offiziellen Ansprechpartner in den Ministerien und Verwaltungen aller sechs beteiligten Länder aber auch die EU-Bürokratie, waren damit konfrontiert, dass zum ersten Mal in der Geschichte der bisherigen EU-Nachbarschaftspolitik, Vertreter der Zivilgesellschaft gleichberechtigt in das Gesamtprojekt eingebunden waren. Vertreter und Repräsentanten zivilgesellschaftlicher Organisationen und Initiativen aus allen sechs beteiligten Länder aber auch aus Ländern EU-Europas sollten alle inhaltlichen Teile der ENP-Initiative begleiten, die von wirtschaftlichen Fragen, politischen Konsultationen, bis zu humanitären Problemen und Fragen der Visaerleichterung reichen. Sie bilden darüber hinaus ein eigenes Forum, mit gewählten Sprechern und einer länderübergreifenden Koordinierung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten im Rahmen der ENP.
Zunächst wusste niemand genau, wie diese neue Möglichkeit genutzt, dieser Anspruch eingelöst werden könnte. Die meist nur schwachen Traditionen zivilgesellschaftlichen Engagements in den beteiligten Ländern, ließen nach den personellen Ressourcen eines solchen Unternehmens fragen. Wie sollte die themen- und länderübergreifende Koordination funktionieren, auf welche gemeinsamen Ziele konnte sich das breite Spektrum der beteiligten NGO verständigen? Würde ihre gemeinsame Vertretung die Präsenz und Kraft haben, sich den beteiligten Regierungsstellen autoritärer und halbautoritärer Staaten erfolgreich entgegenzustellen?
Was hier entscheidend half, waren die langgewachsenen Kontakte im zivilgesellschaftlichen Raum des westlichen aber auch des östlichen Europas. In die Zeit der Existenz der Sowjetunion zurückreichende Beziehungen östlicher Dissidenten zu ihren westlichen Partnern und Unterstützern halfen dabei, in den letzten beiden Jahrzehnten Netzwerke zu knüpfen, auf die jetzt zurückgegriffen werden konnte. Wichtig war die Breite und akzeptierte Heterogenität beteiligter Organisationen und Initiativen, die von eher regierungsnahen bis zu ausgesprochen regierungskritischen Akteuren reicht, Think Tanks ebenso einschließt, wie thematisch hochspezialisierte Kleingruppen.
Mittlerweile läuft die Präsenz zivilgesellschaftlicher Akteure in allen thematischen Plattformen der ENP an, es existiert ein gewähltes Steuerungskomitee und ein großes Forum beteiligter Vertreter, das sich in regelmäßigen Absichten trifft. Interventionen und Empfehlungen der zivilgesellschaftlichen Ebene können nicht mehr einfach ignoriert werden
Die Kräfte der zivilen Gesellschaft
Die russische offizielle Seite, schien die ENP-Initiative zunächst für eine Verlegenheitslösung oder den Ausdruck von Ratlosigkeit von Seiten der EU zu halten. Schließlich hatte Russland im Georgien-Konflikt erfolgreich seinen „Herr im eigenen Haus“ Standpunkt demonstriert und verstand es sehr gut, die Defensive der USA in Sachen Politik gegenüber dem östlichen Europa auszunutzen. Die Unfähigkeit einer durchgreifenden Modernisierung der Wirtschaft aus eigener Kraft zwang jedoch dazu, auf den Westen, vor allem einzelne EU-Staaten, zuzugehen und immer stärker für eine umfassende Modernisierungspartnerschaft zu werben. Dabei sollen Russland und der jeweilige Partner vornan stehen. Der EU als Gemeinschaft traut Russland ohnehin nicht viel zu. Der ENP würde im Verhältnis zu einer Reihe verschieden gewichteter privilegierter Partnerschaften, dann nur noch eine Schattenrolle zukommen. Sie könnte die verschiedenen Nachbarn Russland im ewigen Wartestand belassen, Realpolitik würde sich weiter bilateral und für die ENP-Beteiligten zu den bekannten Bedingungen naher Nachbarschaft abspielen.
Mit dieser Strategie konfrontiert, hat die EU mehrere Möglichkeiten. Ihre beteiligten Akteure können dem russischen Werben nachgeben, was den immer vorhandenen nationalen Egoismen und Eitelkeiten entspräche, Putin und Medwedjew mit verteilten Rollen zwischen Paris, Berlin und Warschau erfolgreich auftrumpfen oder schmeicheln ließe. Sie könnten sich diesen Versuchen widersetzen und Russland konfrontativ begegnen, was jede Reformbewegung im östlichen Europa und in Russland selbst be- und verhindern würde. Sie könnte aber auch – und darauf käme es an – aus alten Fehlern und neuen besseren Erfahrungen lernen. Mit dem Angebot Russlands und seiner verbalen Bereitschaft zur umfassenden Zusammenarbeit sollte die EU gemeinsam und positiv umgehen, auf der Basis der eigenen Werte, die von Russland selbst beansprucht werden und jenseits der Wege alter Interessenpolitik. Es ist kein Zufall, dass sich russische demokratische Oppositionelle und Kräfte der Zivilgesellschaft immer stärker zu Wort melden, auf die positiven Ansätze der ENP verweisen und die Einrichtung eines eigen zivilgesellschaftlichen EU-Russland Forums fordern, dass eine umfassende Modernisierungspartnerschaft begleiten würde.
Russland wird mit Verweis auf seine Geschichte häufig als dauerhaft unfähig zu Demokratie eingestuft. Damit spricht man allen russischen Demokraten, Oppositionellen und zivilgesellschaftlichen Kräften die Realität ab und erklärt das Ziel einer wertebestimmten gesamteuropäischen Integration für unmöglich. Wenn sich die EU diesem Ziel stellt, ihr eigenen Werte ernstnimmt und zu einer konsistenten Politik formt, kann sie alle europäischen Nachbarn die dies wollen, auf ihrem Reformweg unterstützen und letztlich eine Beitrittsperspektive oder eine abgestufte Nachbarschaftsperspektive eröffnen. Sie kann mit einer solchen konsequenten Politik Russland begegnen und ihm die Chance geben zum guten Nachbarn und fairen Partner zu werden.