Kommune 4/2012
Forum für Politik, Ökonomie und Kultur
Wolfgang Templin
Polnischer Sommer
Von der Euphorie in den tristeren Alltag
Die polnischen Hoffnungswogen schlugen hoch, vor dem Beginn der Europameisterschaften. Man sah die eigene Mannschaft mindestens im Halbfinale, wenn nicht gar im Endspiel. Polen wollte ein guter Gastgeber sein und wollte die Ukraine als Partner bei der Ausrichtung der Meisterschaft erhalten. Man stemmte sich gegen den politischen Boykott, trotz aller demokratischen Rückfälle und politischen Probleme die es im Nachbarland gibt und plädierte für den Versuch einer flexiblen Diplomatie. Mit letzter Kraft wurden in den letzten Wochen Verspätungen und Unzulänglichkeiten der Vorbereitung angegangen, fehlende Autobahnabschnitte fertiggestellt und die Warschauer Fanmeile ausgebaut.
Die kalte Dusche für die Fans kam dann jedoch schnell. Die polnische Auswahl enttäuschte mit ihrem passiven, ideenlosen Spiel und brachte es in der Vorrunde nur auf den letzten Platz in der
eigenen Gruppe. Kaum war das entscheidende Spiel zu Ende, brach sich der polnische Witz Bahn und es wurde lautstark skandiert: „Dreht um die Tabelle, dann sind wir doch an der Spitze“. Wer die
Verhältnisse im polnischen Fußballverband kannte – wahrhaftige Fossilien von Funktionären, mafiöse Verhältnisse, Strukturen aus volkspolnischen Zeiten, die jeder Reformanstrengung trotzten –
wusste um eine entscheidende Ursache des schlechten Abschneidens.
Die Polen blieben dennoch gute Gastgeber bis zum Schluss und jubelten mit rotweißen Fahnen und Schals wechselweise für die Spanier oder Portugiesen im Endspiel. Das befürchtete Verkehrschaos
blieb aus und die Auseinandersetzungen zwischen russischen und polnischen Hooligans wurden von den Ordnungskräften im Zaum gehalten. Tagsüber und an den Abenden erlebte man jede Menge russischer
und internationaler Fans im Warschauer Stadtbild, die sich mit ihren Gastgebern anfreundeten und verbrüderten. Internationale Kommentatoren vergaben Höchstnoten für die Organisation der Spiele
und die Gastfreundschaft, viele Touristen erlebten an den Spielstätten in Warschau, Poznań, Gdansk und Wroclaw ein aufstrebendes Land, welches nicht nur einen Fußballbesuch lohnt.
Donald Tusk und seine Mannschaft
Zunächst konnten sich Ministerpräsident Donald Tusk und seine Bürgerplattform (PO) dieses guten Echos erfreuen, dass sie als Erfolg auf ihre Fahnen schrieben. Die Umfragewerte, nach einem Fehlstart und einer Pannenserie zu Jahresanfang im Keller gewesen, schnellten erneut in die Höhe. Optimisten wollten an eine erfolgreiche zweite Amtszeit und eine regierende Partei der liberalkonservativen Mitte glauben, die dem polnischen politischen System zur dauerhaften Stabilität verhelfen könne.
Bereits die nächsten Herausforderungen zerstörten das Wunschbild, zeigten erneut die entscheidenden Schwächen Tusks und seiner Partei. Um im Fußballbild zu bleiben, blockiert der Premierminister
ein wirkliches Mannschaftsspiel. Wenn es um das Regierungshandeln geht ist die Kommunikation mit der Partei und der Fraktion gestört. Donald Tusk trifft zunehmend einsame Entscheidungen, besetzt
die Ministerposten nach taktischen Gesichtspunkten - um Übertritte zu belohnen, potentielle Konkurrenten ruhig zu stellen und das Machtgewicht auszubalancieren. So ernannte er zu Beginn des
Jahres, einen auf die Seite der PO gewechselten Hoffnungsträger der unabhängigen Linken, Bartosz Arlukowicz, zum Gesundheitsminister. Arlukowicz, selbst Arzt, konfrontiert mit den Tücken des
Ministerialapparates und zahlreicher nachgeordneter Behörden und vor die Aufgabe gestellt ein marodes Gesundheitssystem zu reformieren, schrammte nach kurzer Zeit am Rand des Rücktritts entlang.
Zwischen Sanierungskonzepten über eine forcierte Privatisierung medizinischer Leistungen und Vorschlägen für den Ausbau des öffentlichen Gesundheitssystems, wird die Kluft immer tiefer.
Zur allgemeinen Überraschung berief Tusk den erzkonservativen Jaroslaw Gowin zum Justizminister. Gowin war weder Jurist, noch besaß er Erfahrungen in diesem Ressort. Das Ganze war ein offenes
Zugeständnis an den rechten Parteiflügel und führte in den Folgemonaten zur Blockade zahlreicher Gesetzesvorhaben und EU-Anforderungen.
Die Personalentscheidungen und der Umgang mit den Parlamentariern offenbarten das grundlegende Dilemma der PO. Mit dem angestrebten Mittelplatz in der politischen Landschaft und dem Etikett
„Liberalkonservativ“ werden in der Sache unvereinbare Positionen und Strömungen zusammen gehalten, die häufig nur der Wille zum Machterhalt vereint. Zwischen dem liberalen Teil der PO und den
konservativen Traditionalisten verlaufen Trennungslinien, die den weiteren Entwicklungs- und Reformweg Polens grundsätzlich bestimmen. Politische Entscheidungen und Gesetzesvorlagen zum
Staat-Kirche Verhältnis, zur vollen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, zum Umgang mit häuslicher Gewalt werden auf diese Weise verschleppt oder bis zur Unkenntlichkeit
verwässert.
Bei den für den Herbst anstehenden wirtschafts- und sozialpolitischen Herausforderungen sieht es derzeit nicht besser aus. Eine immer deutlichere Konjunkturabschwächung und die andauernde
Verschlechterung der Situation auf dem Arbeitsmarkt auch für Jüngere und besser Ausgebildete, setzen hier deutliche Warnzeichen.
Mitten in der Sommerpause erschütterte ein klassischer polnischer Skandal die Koalition von Bürgerplattform (PO) und Bauernpartei(PSL). Unter Kennern der Materie gilt die mit Wahlergebnissen
zwischen 7-12 % dauerhaft existierende PSL als Klientelpartei reinsten Wassers. Sie lebt von ihren Strukturen, bedient ein beschränktes aber treues Elektorat und schafft es als Zünglein an der
Waage und Mehrheitsbeschaffer immer wieder zum kleineren Koalitionspartner zu werden. Der Nepotismus und die Selbstbedienungsmentalität zahlreicher Funktionäre und Anhänger der PSL sind
berüchtigt. Jetzt tauchte im Internet ein Video-Mitschnitt eines privaten Gespräches zweier hoher Beamter der dem Landwirtschaftsministerium nachgeordneten Agentur für den Landwirtschaftsmarkt
auf. Gegenstand waren die Verschwendung öffentlicher Gelder und der unmittelbare Eingriff in die Personalpolitik staatlicher Unternehmen durch den Minister Marek Sawicki. Der stritt zunächst
alles ab, musste dann aber binnen zweier Tage seinen Hut nehmen. Donald Tusk hatte dem Chef der Bauernpartei, Waldemar Pawlak, mit dem Bruch der Koalition gedroht und so eine schnelle
Entscheidung erzwungen.
Anhaltende Schwäche der Opposition
All das könnte Wasser auf die Mühlen der Opposition sein, die mindestens in ihrem linken Teil, Entscheidungen und Konzepte für ein modernes, liberales und weltoffenes Polen fordert. Ein Polen, bei dem in Zeiten des Aufschwungs aber auch der Krise, der schwächere Teil der Gesellschaft nicht mit marktliberalen Sprüchen zur möglichen Selbsthilfe für Jedermann abgespeist wird.
Mit der „Bewegung Palikot“ (RP), eine nach ihrem charismatisch-schillernden Begründer benannten neuen Partei, die im neugewählten Sejm mit über vierzig Abgeordneten und rund zehn Prozent
Wählerstimmen vertreten ist, verbanden sich seit dem Winter zahlreiche Hoffnungen. Kirchenkritik und weltanschauliche Liberalität, Forderungen nach einem forcierten Weg in die europäische
Integration, ökologische Positionen und die Ablehnung der regierungsoffiziellen Atomstrategie ließen sie für zahlreiche jüngere Wähler attraktiv werden. Populistische Tendenzen, der anhaltende
Geschmack einer Führerpartei und die fehlende Fähigkeit aus vielen bunten Bausteinen ein stimmiges Programm zu formulieren zeigten auf der anderen Seite die Schwächen des Neustarts. Zwischen der
RP, dem ebenfalls um ihre Neuaufstellung ringenden ehemaligen Postkommunisten/Sozialisten der SLD und den zahlenmäßig geringen aber programmatisch konsequenten polnischen Grünen gibt es genügend
Schnittflächen für eine produktive Kooperation und sie können es gemeinsam auf ein Wählerpotential von weit über zwanzig Prozent bringen. Ob sie diese Chance nutzen oder den politischen Raum
links von der Mitte weiter leerbleiben lassen, wird sich spätestens dann zeigen, wenn die Herausforderung der Europawahlen 2014 ansteht.
Der polnischen Rechten ist jedes Mittel recht, die liberalen Vertreter der Regierungskoalition als Verräter an den heiligen Werten der Nation zu denunzieren. Gleichzeitig umwerben sie den
konservativen Flügel der PO= und dessen Vertreter. Für Donald Tusk ist die rechtskonservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PIS) mit Jaroslaw Kaczynski an der Spitze geradezu ein
Wunschgegner. Dessen vorsintflutlicher Stil und der Inhalt seiner Hasspredigten lassen die PO für große Teile der aufgeklärten Öffentlichkeit und der Intellektuellen mindestens als geringeres
Übel und Schutz vor einer Rückkehr zum politischen Fundamentalismus erscheinen. Eingemauert in das Ghetto ihrer Stammwählerschaft von rund zwanzig Prozent kann die PIS nur dann zur erneuten
Gefahr für die polnische Demokratie werden, wenn eine zunehmend krisenhafte Entwicklung weitere soziale Verlierer schafft und es keine soliden politischen und gesellschaftlichen Antworten auf
deren Probleme gibt.
Polens Platz in Europa
Der Sommer ist zugleich mit einer weiteren Zuspitzung der europäischen Finanz- und Integrationskrise verbunden. Deren mögliche Auswirkungen auf das eigene Land werden in Polen sehr aufmerksam wahrgenommen. Welche Herausforderungen können sich daraus ergeben und wie ist mit Ihnen umzugehen?
Soll Polen, trotz der völlig offenen Situation für den Euro und den Chancen seiner Rettung und Stabilisierung den Beitritt zur Eurozone forcieren oder lieber abwarten? Welchen Platz kann und will
es künftig innerhalb der europäischen Partner und der zu gestaltenden Integrationsarchitektur beanspruchen?
Vor allem Deutschlands Rolle wird in Polen heiß diskutiert, eine Diskussion die von der Dämonisierung als ewigem Hegemon bis zum Lob auf das kluge Krisenmanagement von Angela Merkel reicht. Es
fehlt nicht an europaskeptischen Stimmen und dennoch bricht sich eine Tendenz immer stärker Bahn, die alle bisherigen eigenen Wegschritte positiv sieht und den Mut zur europäischen Partnerschaft
einfordert.