Kommune 6/2011
Forum für Politik, Ökonomie und Kultur
Wolfgang Templin
Innen lebhaft, außen mau
Polen: Parlamentswahlen und östliche Partnerschaft
Bis weit in den Sommer hinein sah es in Polen nach einem Wahlkampf aus, der wenig Überraschungen bieten würde. Die regierende liberalkonservative „Bürgerplattform“ (PO) Donald Tusks lag in allen
Umfragen unangefochten weit vorn. Der unerbittliche Gegner Tusks, Jaroslaw Kaczynski , steckte mit der fundamentalistisch nationalkonservativen „Recht und Gerechtigkeit“ Partei (PIS) im
Zwanzig-Prozent -Ghetto seiner Stammwählerschaft fest. Auf Seiten der postkommunistischen SLD, deren Parteichef Grzegorz Napieralski noch im letzten Jahr als Hoffnungsträger der polnischen Linken
galt, tat sich auch nicht viel. Kleinstparteien und Neugründungen schienen keine Chancen zu haben, es sei denn sie verbündeten sich wie die polnischen Grünen mit den Postkommunisten, um als deren
Wirtstiere wenigstens einige Mandate zu ergattern. Die Hoffnung und das Versprechen der Tusk-Regierung, dass Polen als gefestigte Demokratie die Herausforderungen der Europäischen
Ratspräsidentschaft und die Parlamentswahlen zugleich meistern könne, wirkten auf einmal realistisch.
Dann jedoch flogen die „Engelchen des Präsidenten“, wie die jungen attraktiven Damen genannt wurden, mit denen sich der eher dröge wirkende Jaroslaw Kaczynski plötzlich permanent umgab. Seine PR-Strategen wollten dem verbreiteten Image der PIS, als Partei der älteren und mindergebildeten Verlierer mit Macht entgegenwirken. Mobilisierung einer jungen Anhängerschaft, Intellektuellenkongresse, eigene Zukunftsentwürfe gehörten dazu. Diese Effekte und eine scharfe aber sachbegründete Kritik von Pannen und verschleppten Reformen der Tusk – Regierung verfehlten nicht ihre Wirkung. Im August und September holte die PIS auf und lag in einigen Umfragen nur noch ganz knapp hinter der Bürgerplattform. Die eigentliche Überraschung der Wahlen zeichnete sich erst ganz kurz vor dem 9.Oktober ab. Janusz Palikot, ein exzentrischer, medienbewusster erfolgreicher Geschäftsmann, der einige Jahre lang zu den Unterstützern der Bürgerplattform gehörte und zu deren Abgeordneten zählte, hatte sich 2010 endgültig von Tusk und dessen Partei getrennt und eine eigene „Bewegung Palikot“ (RP) begründet. Seine Vorstellung von kulturellem Liberalismus und einem laizistischen Staat waren mit den gesellschaftskonservativen Grundmustern der Bürgerplattform nicht zu vereinbaren. Gegner und zahlreiche Kommentatoren hielten Palikot Effekthascherei und Populismus vor und prophezeiten den absoluten Misserfolg seines Versuches.
Es kam jedoch anders. Palikot besaß ein sicheres Gespür für die gesellschaftliche Aufbruchssituation in Polen und die damit verbundenen Themen. Neben zahlreichen Geschäftsleuten, die sich an der überbordenden Bürokratie in Polen rieben, holte er libertäre, antiklerikal eingestellte Intellektuelle, Aktivistinnen der Frauenbewegung und der LGBT-Szene in seine Bewegung. Er warb sogar um die Minipartei der polnischen Grünen, die sich jedoch nicht von ihrer Liaison mit den Postkommunisten lösen wollten. Über Monate hinweg schien der RP chancenlos, um in den letzten Prognosen vor der Wahl immer stärker zu werden.
Am Wahlabend war die Überraschung perfekt. Mit einem Ergebnis von über zehn Prozent der abgegebenen Stimmen, zog die “Bewegung Palikot“ mit vierzig Abgeordneten in den polnischen Sejm ein,
darunter eine der bekanntesten Frauenrechtlerinnen des Landes, ein bekennender Homosexueller und ein Transsexueller. Genug, um polnische Konservative den Weltuntergang beschwören zu lassen.
Mindestens für die seit dem Niedergang der SLD leergefegte linke Seite des politischen Raumes in Polen brachte der Überraschungssieg Palikots eine völlig neue Situation und riesige Chancen. Ein
inhaltsleerer und schlechtgeführter Wahlkampf warf Grzegorz Napieralski und die SLD, mit acht Prozent hinter die RP und die Bauernpartei PSL zurück. Der vermeintliche Hoffnungsträger der
polnischen Linken hatte seine Grenzen so deutlich gezeigt, dass er all seine Hoffnungen auf Regierungsbeteiligung und künftige Parteiführerschaft begraben musste. Unmittelbar nach den Wahlen
setzte bereits der Kampf um seine Nachfolge ein.
Die Bürgerplattform konnte mit einem Ergebnis von knapp vierzig Prozent auf eine zweite Legislaturperiode als Regierungspartei zusteuern . Ein für die junge polnische Demokratie erstmalige
Kontinuität. Mit der Bauernpartei PSL, die ihr Ergebnis halten konnte, stand ein passgerechter Koalitionspartner bereit. Jaroslaw Kaczynski hatte sich und den Seinen bis zum Wahlausgang einen
möglichen Sieg suggeriert. Am Wahlabend erkannte er zunächst den Sieg der Bürgerplattform an und sprach nicht erneut vom Wirken finsterer Mächte oder ausländischer Geheimdienste. Wenig später
jedoch spornte er den Kampfgeist der Gesinnungsgenossen an und versprach, dass Warschau noch einmal Budapest würde. Wer das Wirken Victor Urbans in Ungarn vor Augen hatte, wusste was damit
gemeint war. Kurze Zeit nach den Wahlen verfiel Jaroslaw Kaczynski erneut in den Stil des fundamentalistischen Hasspredigers und dürfte sich damit dauerhaft in rechtskonservative Isolierung
begeben.
Die polnische Regierungsbildung zog sich bis Mitte November hin, was weniger mit den Schwierigkeiten der Koalitionsbildung zu tun hatte als mit der Frage, wie sich Donald Tusk den
Herausforderungen der zweiten Amtszeit und der aktuellen europäischen Finanzkrise stellen würde. Sanierung und Konsolidierung der öffentlichen Finanzen, weitere Veränderungen im Rentensystem und
die Antwort auf die Frage, wann der Beitritt Polens zur Eurozone zu erwarten ist, konnten nicht länger hinausgeschoben werden. Mindestens zu den innenpolitischen Herausforderungen nahm Tusk in
seinem mit Spannung erwarteten Exposé deutlich Stellung und kündigte bis dahin tabuisierte Reformen und Einschnitte an. Eine Erhöhung des Rentenalters auf siebenundsechzig Jahren, Wegfall von
Sonderrenten sowie deutliche Einschnitte in deren Bestand waren am schmerzhaftesten für die polnische Gesellschaft. Teuerungen und die anhaltende Schwäche des Zloty treffen die Verbraucher.
Spekulationen blühen, wann die Auswirkungen der erneuten Finanzkrise und der Abschwächung der europäischen Konjunktur das Land erreichen.
In allen außenpolitischen Punkten blieb Tusk undeutlicher oder äußerte sich noch nicht. Er betonte das zunehmende Gewicht Polens auf europäischer und internationaler Bühne und gab sich
optimistisch, was die Ergebnisse der im Dezember auslaufenden Ratspräsidentschaft betrifft. Hier lässt sich jedoch bis heute schwer sagen, wie die Bilanz im Dezember aussehen wird. Von
entscheidenden Prozessen, wie dem Krisenmanagement innerhalb der Eurozone ausgeschlossen, hatte sich Polen einen eigenen Prioritätenkatalog für die Ratspräsidentschaft gestellt. Die weitere
Ausgestaltung der östlichen Partnerschaft, mit der Ukraine, Belarus, Moldawien, Georgien, Armenien und Aserbaidschan gehörte dazu. Im Verbund der mehr als heterogenen Partner bereiteten vor allem
die Entwicklungen in Belarus und der Ukraine zunehmend Kopfzerbrechen und führten zu teilweise hektischen diplomatischen und politischen Bemühungen. Wie groß das Dilemma ist, zeigte ein
Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der Östlichen Partnerschaft und ihrer EU-Partner am 29. Und 30. September 2011 in Warschau. Einige Kommentatoren und ein Teil
der deutschen Medien sprachen von einem völligen Fiasko, während die offizielle polnische Seite von einem Erfolg sprach. Im Kern ging es darum, auf welche Weise das repressive belarussische
Lukaschenko-Regime und die immer autoritärer auftretende Regierung von Viktor Janukowytsch in der Ukraine zum Einlenken, zur Öffnung oder zu demokratischen Zugeständnissen gebracht werden könne.
Während sich der völlig bankrotte Lukaschenko nur noch an den Erhalt seines Regimes klammerte, sein Land an Russland ausverkaufte und immer neue Repressionen startete, versuchte sich Viktor
Janukowytsch weiter an seiner alten Schaukelpolitik. Er betonte die Priorität des europäischen Weges für die Entwicklung der Ukraine und liebäugelte gleichzeitig mit der russischen Zollunion.
Innenpolitisch war er nicht bereit oder in der Lage, den offenkundig politischen Prozessen und Inhaftierungen von politischen Gegnern und Gegnerinnen wie Juri Luzenko und Julia Tymoschenko
entgegenzutreten. Meinungsfreiheit und Pluralismus sind immer bedrohter, die Möglichkeit fairer und freier Parlamentswahlen, die im nächsten Jahr anstehen, wird immer unrealistischer.
Was sollen Polen und die EU-Diplomatie in dieser Situation tun? Vor und nach dem Gipfel jagte eine Delegation die nächste, um den Diktatoren und autoritären Politikern Zugeständnisse oder eine
Kursänderung abzujagen. Das in weiten Teilen vorbereitete Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, sollte den Erfolg der Polnischen Ratspräsidentschaft im Dezember dokumentieren. Seine Paraphierung
ist mittlerweile mehr als in Frage gestellt. Ein demokratisches Europa sollte die Tür für alle Teilnehmerstaaten der Östlichen Partnerschaft weit offen halten und zugleich unmissverständlich klar
machen, welche Werte und Reformen den erfolgreichen Weg nach Europa begleiten müssen und möglich machen.