In der Restaurationsphase
Die Ukraine nach den Lokalwahlen
aus Kommune 6/2010, Forum für Politik, Ökonomie und Kultur
von Christiane Schubert und Wolfgang Templin
Früher hätte es einmal eine Partei mit dem Namen BJUT gegeben, heute gibt es nur noch eine Partei. Das sagen junge Männer vor der Wahlkommission in Bila Zerkwa, der 200.000 Einwohner zählenden Stadt südlich von Kiew. Der Vertreter der Partei der Regionen, der Partei des amtierenden Präsidenten Viktor Janukowytsch, widerspricht: »Sie sehen doch, 38 Parteien treten hier zu den Kommunalwahlen an». Im Wahllokal Nr. 25 in Bila Zerkwa scheint alles in Ordnung. Zwar stehen lange Schlangen vor den Wahlkabinen, aber das sei normal, meint die Wahlleiterin.
Im Parteibüro von Batkiwschtschyna (Vaterland), der Partei Julia Tymoschenkos, erklärt der Parlamentsabgeordnete Volodymyr Waljuk, dass die Kommunalwahlen völlig undemokratisch verlaufen. Die Zentrale Wahlkommission sei nicht mehr paritätisch besetzt. Die Partei der Regionen habe dort und in den lokalen Wahlkommissionen die Mehrheit. Als sich im August die Parteien registrieren ließen, hätten Mitglieder der Partei der Regionen sogenannte Klonparteien unter dem Namen von Batkiwschtschyna angemeldet. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen Anfang 2010 hatte Julia Tymoschenko in Bila Zerkwa 68 Prozent und Viktor Janukowytsch nur 15Prozent. Die Zentrale Wahlkommission hat zwar in der Nacht vor den Kommunalwahlen am 31 .10. die Klonparteien aus den Listen genommen, doch die Partei Julia Tymoschenkos konnte so keinen Wahlkampf machen.
Ein neuer Präsident und seine schnellen Schritte
Nach seiner Entlarvung als Oberster Fälscher der Präsidentschaftswahlen im Herbst 2004 schien die politische Karriere von Viktor Janukowytsch am Ende zu sein. Reformunfähigkeit, persönliche Zerstrittenheit und ausufernder Egoismus der orangen Eliten und ihrer Führungsgestalten Viktor Juschtschenko und Julia Tymoschenko gaben ihm jedoch im Februar 2010 die Möglichkeit eines politischen Comebacks. Mit dem - wenngleich knappen - Sieg der Präsidentschaftswahlen konnte er eine Regierung unter dem Vorsitz seines Vertrauten Nikolai Azarow formen. Selbst Beobachter, die den Sieg Von Janukowytsch mit großer Skepsis sahen und nicht an seine demokratische Läuterung glaubten, wurden von der Entschiedenheit und dem Tempo regressiver Veränderungen überrascht. Binnen weniger Wochen wurde das Personal in den lokalen und regionalen Verwaltungen, vor allem aber in den Ministerien, ausgetauscht und auf Linie der Partei der Regionen gebracht. Die oberen Ebenen der Judikative, so der Richterrat, das Oberste Gericht, das Oberste Verwaltungsgericht und das Verfassungsgericht wurden mit Janukowytsch-hörigem Personal bestückt. Im Sommer folgte die Restauration der alten, auf die Machtfülle des Staatspräsidenten zugeschnittenen Verfassung, die im Gefolge der orangen Revolution zugunsten eines Kompromisses zwischen Ministerpräsident und Staatspräsident verändert wurde.
Sehr schnell wuchs auch der Druck auf die regierungskritischen Massenmedien, vor allem private Fernsehsender, wie TVl und Kanal 5. Deren Besitzer wurden wirtschaftlich unter Druck gesetzt, was sich nicht immer direkt nachweisen ließ, aber an den veränderten Programminhalten deutlich wurde. Aus den Oppositionsparteien wurden politische Überläufer herausgekauft, andere Abgeordnete wurden einfach erpresst. So sollten die vorhandenen Ansätze des politischen Pluralismus eliminiert werden, Vertreter von Oppositionsparteien sahen sich vor die widrige Alternative gestellt, Satellitenstatus anzunehmen oder marginalisiert zu werden.
Außenpolitisch fuhr Janukowytsch den Kurs einer erneuten Annäherung an Russland und ließ die Interessenbekundungen in Richtung EU zu bloßen Phrasen werden. Wie weit er hier einen eigenen strategischen Plan verfolgte oder zum Getriebenen widerstreitender Interessen einzelner Oligarchengruppen in der Partei der Regionen wurde, ist umstritten. Bei seinen Auftritten in Deutschland und Westeuropa war Janukowytsch bemüht, sich gegenüber den »orangen Chaoten« als handlungsstark und reformwillig zu präsentieren. Dem dienten unter anderem Gesetzesinitiativen zur Bekämpfung der Korruption,
»Korruptionsbekämpfung« und die Methoden des Sicherheitsdienstes
Ein Lehrstück darüber, wie man sich Korruptionsbekämpfung à la Janukowytsch vorstellen muss, erhielten die Teilnehmer der sechsten »Kiewer Gespräche«. Deutsche und ukrainische Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen kamen vom 28. bis 30. Oktober unmittelbar vor den Kommunalwahlen in Kiew zusammen und hatten sich des heißen Eisens »Korruption in Politik, Wirtschaft und Verwaltung« angenommen. Frappierend war die deutlich veränderte Atmosphäre der Gespräche, die 2005 mit großen Hoffnungen begannen und alljährlich in Kiew oder in Berlin stattfanden. Eingeladene ukrainische Regierungsvertreter sagten kurzfristig ab, die politische Repräsentanz der ukrainischen Seite war sehr dünn und einige der NGO-Vertreter wirkten deutlich verunsichert.
Ein auf das Podium vorgeschickter Mitarbeiter der Anti-Korruptionsabteilung im Ministerkabinett – die hohen Verantwortlichen kamen erst gar nicht – zeigte wider Willen, dass die exekutive Verfolgung tatsächlicher oder behaupteter Bestechlichkeit und Steuervergehen zum systematischen Kampf gegen politische Gegner dient und zum Niederhalten der eigenen Leute genutzt werden kann. Vitali Portnikow, einer der bekanntesten ukrainischen Journalisten und der deutsche Autor Jürgen Roth, Spezialist für die osteuropäische Mafia, brachten als Teilnehmer der Podien das Problem auf den Punkt: Nicht die tatsächlich ausufernde Korruption ist das Hauptproblem der Ukraine sondern eine alles durchdringende politisch motivierte Staatskriminaliät, die von oben nach unten wirkt. Ohne funktionierende Gewaltenteilung, gefestigte Institutionen und eine unabhängige Justiz kann der Kampf gegen die Korruption in einen politisch motivierten Verfolgungskrieg umschlagen. Der gegenwärtige Chef des Sicherheitsdienstes (SBU) ist ein millionenschwerer Medienmagnat und zugleich Mitglied des obersten Richterrates. Seinen 30.000 Mitarbeiter umfassenden und zum erheblichen Teil noch aus KGB-Zeiten stammenden Apparat setzte er von Monat zu Monat stärker zur Einschüchterung kritischer Stimmen und als Druckmittel gegen unliebsame Nichtregierungsorganisationen ein.
Ausforschende Besuche einzelner Organisationen, verwarnende Gespräche mit den Rektoren der Kiewer Mohyla-Akademie und der Lemberger griechisch-katholischen Universität, die stundenlange Festsetzung des Leiters des Kiewer Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung auf dem Kiewer Flughafen - immer zahlreicher wurden die Beispiele. Unter dem Titel »Die Angst ist zurück« (FAZ, 30.10.2010) beschreibt der Ukraine-Korrespondent Konrad Schuller ein ganzes Panorama bedrohlicher und schmutziger Praktiken, die sich auch gegen ihn und seine Mitarbeiter richteten. Natürlich sind die Methoden bei prominenten ausländischen Korrespondenten und Hauptstadtintellektuellen anders als in der Provinz. Dort reicht bei Journalisten mitunter der einfache »Zeigefinger« des Herausgebers: »Hör auf mit dem Quatsch und kümmere Dich nicht immer um die falschen Themen. Schreib, wie ein Hund eine Katze gefressen hat. So was wollen die Leute lesen«.
Testfall Regionalwahlen
Entgegen den vollmundigen Wahlversprechen Janukowytschs »das Chaos ist vorbei, allen wird es besser gehen« sorgten die deutliche Erhöhung der Gaspreise und der Preisanstieg bei den Grundnahrungsmitteln für Unmut auch bei den Menschen, die nicht unter der Einschränkung ihrer Freiheitsrechte litten. Die Wahlen zu den lokalen und regionalen Vertretungskörperschaften wurden zum Test für die dauerhafte Unterstützung der »Regionen« und die Chancen für die Opposition. Bereits im Vorfeld der Wahlen unternahm die Administration Janukowytschs alles in ihren Kräften Stehende, um den Wahlsieg zu sichern. Dazu gehörte ein neues Kommunalwahlgesetz, das Tür und Tor
für Manipulationen öffnete und die einseitige nicht-paritätische Zusammensetzung der Wahlkommissionen möglich machte. Zugleich wurde administrativer Druck auf
unabhängige Kandidaten und unabhängige Mitglieder der Wahlkommissionen ausgeübt. SBU, Generalstaatsanwaltschaft und die als politisches Instrument eingesetzte Steuerpolizei agierten dabei gemeinsam. Wer nicht unter Korruptionsverdacht ins Gefängnis wollte, wie die Bürgermeister von Kamenez-Podolski und Winniza, zog die Kandidatur zurück oder trat der Partei der Regionen bei. Unter Korruptionsvorwurf sitzen immer mehr frühere Mitarbeiter von Julia Tymoschenko seit Monaten ein oder werden damit bedroht. Durch Manipulation der Wahllisten und falsche Registrierung der Kandidatinnen wurde die Tymoschenko-Partei in den Regionen um Kiew und Lemberg faktisch von der Wahl ausgeschlossen. Die Berichte und Einschätzungen der Wahlbeobachter vom Wahltag waren widersprüchlich, aber es verdichtete sich das Bild gehäufter Behinderungen und Manipulationen. Lange Wartezeiten, verspätetes Öffnen der Wahllokale, überzählige Stimmzettel und die fehlende Anfertigung von Wahlprotokollen zählten dazu. Nach dein 31.10. dauerte es sehr lange, bis die Wahlergebnisse aus den Regionen und Städten zusammenkamen und die Partei der Regionen als klarer Sieger feststand. Ein Sieg mit vielen Schattenseiten. Von freien und fairen Wahlen sprechen selbst optimistische Beobachter nur mit großen Einschränkungen. Wahlanfechtungen werden die Gerichte noch Wochen beschäftigen.
Mit etwas mehr als 35 Prozent der abgegebenen Stimmen konnte die Janukowytsch-Partei ihr Ergebnis der Präsidentschaftswahlen halten und Julia Tymoschenkos Batkiwschtschyna mit 13% weit hinter sich lassen. Kleinere Oppositions- und Satellitenparteien lagen alle deutlich unter zehn Prozent. In einer für ukrainische Verhältnisse extrem niedrigen Wahlbeteiligung von 40 Prozent und einem um die zehn Prozent »Gegen alle« Votum drückte sich die ablehnende Stimmung in der Bevölkerung aus.
Der damalige Staatspräsident Viktor Juschtschenko hatte mit archaisch-patriotischem
Pathos und zunehmend nationalistischen Tönen vor 2010 versucht, der Ukraine eine neue Identität zu verordnen und seine eigene politische Basis in der Westukraine zu stärken. Damals war dem extrem nationalistischen, antisemitischen und russophoben Auftreten der westukrainischen Partei »Swoboda« (Freiheit) nur eine marginale Wirkung beschert. Sie wurde jetzt mit über fünf Prozent zum heimlichen Sieger der Wahlen und stellt in den Stadt- und Regionalräten von Lemberg, lwano- Frankiwsk und Ternopil, die stärkste politische Kraft. Swoboda konnte selbst im Zentrum der Ukraine und im russischsprachigen Fuß fassen und könnte in der instabilen politischen Landschaft der Ukraine zu einer echten Gefahr werden. Die Strategie der Partei der Regionen, den radikalen ukrainischen Nationalismus auf einen Teil der Westukraine einzugrenzen, geht auch darum nicht auf, weil sie selbst nur die Fortsetzung der pseudosowjetischen Tradition anbietet.
Vor und mit 2004 war es eine mehrjährige zivilgesellschaftliche Widerstandskampagne »Ukraine ohne Kutschma«, die den diskreditierten und staatskorrupten Präsidenten ins politische Aus beförderte und demokratische Wahlen erzwang. Danach verabschiedeten sich viele der friedlichen Revolutionäre ins zivile Leben und setzten ihre Hoffnungen auf die orangen Eliten. Binnen weniger Jahre schafften es diese Eliten, die eben auch nur Teil der Zerfallsphase der Sowjetunion waren, alle in sie gesetzten Hoffnungen zu enttäuschen. Damit machten sie den Weg frei in eine erneute Restaurationsphase.
Ob sich diese Geschichte wiederholt, welche Kräfte von 2004 geblieben sind und Teil einer Bewegung »Ukraine ohne Janukowytsch« werden, wird die Zukunft zeigen.