Jerzy Pomianowski: Na Wschod od Zachodu. Jak byc z Rosja. Z przedmowa Leopolda Ungera

aus: Osteuropa, 2/2005, Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, Berliner Wissenschaftsverlag

von Wolfgang Templin 

 

Kein anderes Land Europas reagierte auf die orangene Revolution in Kiev mit solcher Begeisterung und Solidarität wie der westliche Nachbar Polen. Es gab Demonstrationen der Unterstützung in allen größeren polnischen Städten, Busse und Züge voller Studenten waren auf dem Weg nach Kiev, und Polens Staatspräsident Kwasniewski wurde zur Schlüsselfigur der friedlichen Verständigung wurde.

 

Wer die neue Intensität dieser Nachbarschaft verstehen will, wer sich mit der Frage nach der Zukunft des ukrainischen Reformweges und der komplizierten polnisch-ukrainisch-russischen Beziehung beschäftigt, findet in dem aktuellen Buch des Krakauer Essayisten, Publizisten und Übersetzers Jerzy Pomianowski wertvolle Aufschlüsse.

 

Pomianowski, Jahrgang 1921, war 1939 Soldat der polnischen Armee und kam in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Seine prägenden Ukraine- und Russlanderfahrungen sammelte er zunächst als Häftling in den Gruben des Donbass und später als Absolvent der medizinischen Fakultät in Moskau.

 

Er war als Theaterdirektor, Literaturkritiker und Übersetzer der klassischen russischen Literatur in Volkspolen tätig und emigrierte 1969 nach Italien. In der Emigration war er einer der engsten Mitarbeiter des Herausgebers der Pariser Kultura Jerzy Giedroyc, für die er u.a. Solženicyns „Archipel Gulag“ übersetzt hat. 1992 kehrte er nach Polen zurück und begleitet seither die komplizierte Entwicklung in Russland und den Weg der östlichen Nachbarn Polens publizistisch. Jerzy Giedroyc regte ihn 1999 zur Begründung der Monatszeitschrift Nowaja Polsza an, die den Dialog zwischen polnischer und russischer Intelligenz fördern will.

 

Der von Leopold Unger eingeleitete vorliegende Band „Östlich des Westens. Wie soll man mit Russland umgehen?“ vereinigt Essays, Kritiken und Gespräche Jerzy Pomianowskis von 1997 bis 2004. Die Zeitspanne eines knappen Jahrzehntes, das verschiedene polnische Regierungskoalitionen, die chaotische zweite Amtszeit Boris El’cins und den Übergang zu Putins „gelenkter Demokratie“ umfasst, nimmt den Beiträgen nichts an Aktualität. In der Auseinandersetzung mit den Ansätzen polnischer Ostpolitik, dem kritischen Blick auf neuere Arbeiten zur russischen Geschichte, die russische Entwicklung selbst und schließlich in der Präsentation des eigenen Zeitschriftenprojekts zeigt sich Pomianowski als charmanter Polemiker alter Schule und Freund der russischen Kultur.

 

Sein Credo lautet, dass nicht Russland, sondern das russische Imperium zum Feind Polens wurde, nicht die russischen Menschen, sondern der homo sovieticus. Gegen antirussische Phobien und Stereotype auf polnischer Seite wendet sich Pomianowski mit aller Schärfe. Der historische Ausgleich mit der Ukraine, Litauen und Belarus, der polnische Verzicht auf jegliche territorialen Ansprüche in diesem Raum bestimmte die politische Vision der 1946 gegründeten Exilzeitschrift Kultura. Giedroyc und seine Mitstreiter setzten sich mit dieser Konsequenz den bittersten Angriffen nationalistischer Emigrantenkreise, aber auch den Attacken der volkspolnischen Kommunisten aus. Ihnen wurde Verrat der nationalen Interessen, Wirklichkeitsverlust und politisches Abenteurertum vorgeworfen. Erst die friedlichen Revolutionen von 1989 und der Zerfall der Sowjetunion schienen den Anspruch der Kultura einzulösen und sie so zugleich in die Geschichtsbücher zu verweisen.

 

Gegen diese neue Illusion, gegen den Verzicht eigener Initiativen in Richtung Osten und eine einseitige Ausrichtung Polens nach Westen richten sich entscheidende Beiträge Pomianowskis. 2001 erschien unter dem Titel „Alle Fehler wurden schon gemacht“ eine Polemik mit dem polnischen Ostexperten Bartlomej Sienkiewicz. Während Sienkiewicz die Schwäche der polnischen Position beschwört und vom notwendigen Minimalismus polnischer Ostpolitik spricht, zählt Pomianowski versäumte Möglichkeiten und verpasste Chancen im Nachbarschaftsverhältnis auf.

 

Eindeutige Anerkennung und Lob zollt Pomianowski dem postkommunistischen Staatspräsidenten Kwasniewski, der anders als sein Vorgänger Lech Wałęsa die Ukraine ins Zentrum polnischer Außenpolitik rückte und die schwierige Versöhnungsarbeit auf Gipfelebene vorantrieb.

 

Die kritisch-differenzierte Sicht Pomianowskis auf die innere Situation Russlands macht eine weitere Gruppe von Aufsätzen des Bandes deutlich. Dem Wechselbad aus Euphorie und Panik, das zahlreiche westliche Beobachter in den neunziger Jahren erlebten und gegenwärtig hilflos vor dem Phänomen Putin stehen lässt, verweigerte er sich von Beginn an. Pomianowski schloss einen schnellen, erfolgreichen Reformweg Russlands in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft aus. Dennoch glaubte er auch in den größten Wirren der El’cin-Zeit nicht an eine Wiederauferstehung der Sowjetunion. In seinen Analysen und Gesprächsbeiträgen zeichnet er ein anderes Gefahrenbild gegenwärtiger und künftiger Entwicklung des Riesenreiches: ein autoritäres russisches System, das sich der schwachen Ansätze einer zivilen Gesellschaft und selbst der rudimentären Formen parlamentarischer Demokratie entledigt, erneut die Presse knebelt und eine unabhängige Justiz nicht zulässt. Dieses Russland bediene sich verschiedener ideologischer Versatzstücke und äußerer Symbole, beziehe seine Stärke aus der territorialen Ausdehnung, extensiver Verwertung der Rohstoffe und Bodenschätze und könne sich dadurch auf absehbare Zeit als neoimperiale Macht etablieren. Ein Staatskapitalismus zentralistischer Prägung und Fassadeninstitutionen ersetze Demokratie und Marktwirtschaft. Der Preis dieser Entwicklungsblockade sei die Abhängigkeit seiner unmittelbaren Nachbarn, die Atomisierung der Gesellschaft und die Korruption und Kriminalisierung großer Teile der Eliten.

 

Dennoch gibt Pomianowski keinem historischen Fatalismus Raum. Aus der russischen Geschichte heraus – und hier polemisiert er heftig mit amerikanischen und polnischen Historikern, die ein unwandelbares russisches Wesen konstatieren – sieht er immer wieder Reformansätze, sieht er vor allem Intellektuelle, die zum Gewissen ihres Landes wurden und als Veränderungskräfte wirkten. An diese Partner richtet sich Pomianowskis Zeitschrift Nowaja Polsza, an der polnische, russische und ukrainische Redakteure mitarbeiten, deren Hefte den letzten Winkel Sibiriens erreichen und deren erste Nummer in georgischer Sprache im letzten Jahr erschien.

 

Jerzy Pomianowski: Na Wschod od Zachodu.

Jak byc z Rosja. Z przedmowa Leopolda Ungera.,

Rosner & Wspolnicy Warszawa 2004. 375 S.

 

zurück